Fachkräftemangel vs. Fit
Überall wird gesucht, kaum jemand gefunden.
Der Fachkräftemangel ist längst kein branchenspezifisches Phänomen mehr, sondern eine strukturelle Realität. Unternehmen investieren in Recruiting-Kampagnen, Karrierewebsites und Benefits – und stoßen trotzdem auf das gleiche Problem: Viele Bewerbungen, wenig Passung.
Denn im Kern geht es nicht um fehlende Arbeitskräfte, sondern um fehlende Passung zwischen Motivation und Kultur.
Zahlreiche Arbeitgeber sprechen in ihren Kampagnen über Gehalt, Homeoffice oder Obstkörbe – aber kaum jemand spricht über das, was Menschen wirklich antreibt.
Hier liegt das Potenzial motivationsbasierten Employer Brandings: Wenn Unternehmen verstehen, welche Handlungsmotive ihre Zielgruppen bewegen, können sie nicht nur mehr Bewerber:innen gewinnen, sondern vor allem die richtigen.
Wieso Werte allein nicht reichen
In den letzten Jahren ist viel von „Werten“ die Rede. Arbeitgeber positionieren sich als nachhaltig, divers, wertschätzend. Doch diese Kommunikation bleibt oft abstrakt.
Das Problem:
- Werte sind statisch, Motivation ist dynamisch.
- Werte sagen, was wichtig ist; Motivation erklärt, warum.
- Werte können geteilt werden, ohne dass Menschen gleich handeln.
Beispiel: Zwei Personen betonen, wie wichtig ihnen Teamarbeit ist.
Die eine (Typ T) sucht darin Sicherheit und Gemeinschaft.
Die andere (Typ A) sucht Energie, Begeisterung und Ausdruck.
Gleicher Wert – völlig andere Motivation.
Deshalb ist Employer Branding auf Werteebene nur die halbe Miete.
Wer Motivation versteht, spricht Menschen dort an, wo Entscheidungen tatsächlich entstehen – in ihrem inneren Handlungssystem.
Motivation als Hebel im Employer Branding
Der Circle of Motivation® bietet ein Modell, um diese Dimension sichtbar zu machen.
Er unterscheidet vier Grundtypen der Handlungsmotivation, die auch im Arbeitskontext prägend sind:
| Typ | Leitmotiv | Erwartung an Arbeitgeber:innen | Kommunikationsstil |
| Z – Zweckrational | Effizienz, Erfolg, Struktur | klare Ziele, Karrierepfade, Leistungsmessung | sachlich, präzise |
| W – Wertrational | Sinn, Verantwortung, Prinzipien | Haltung, Nachhaltigkeit, Fairness | glaubwürdig, transparent |
| A – Affektuell | Emotion, Kreativität, Ausdruck | Freiheit, Dynamik, Feedback | inspirierend, spontan |
| T – Traditional | Sicherheit, Zugehörigkeit, Verlässlichkeit | Stabilität, Nähe, Loyalität | ruhig, bodenständig |
Diese Typen beschreiben keine Schubladen, sondern Resonanzräume:
Jede Organisation zieht bestimmte Motivlagen stärker an als andere. Wer das erkennt, kann gezielt kommunizieren – nicht um alle zu erreichen, sondern die Passenden.
Employer Branding mit Motivation bedeutet:
- nicht mehr Menschen ansprechen, sondern richtige;
- nicht lauter kommunizieren, sondern resonanter;
- nicht Benefits verkaufen, sondern Bedeutung.
Stellenausschreibungen motivgerecht gestalten
Stellenausschreibungen sind oft der erste Kontaktpunkt – und gleichzeitig einer der unterschätztesten.
Sie folgen meist dem gleichen Muster: Aufgaben, Anforderungen, Benefits.
Doch zwischen den Zeilen transportieren sie Werte, Haltung und Tonalität. Und genau dort entscheidet sich, ob Bewerber:innen andocken.
Motivtypische Gestaltung:
- Für Typ Z (zweckrational):
Klare Struktur, Zielorientierung, präzise Erwartungen.
→ „Sie übernehmen Verantwortung für die Prozessoptimierung und erhalten Gestaltungsspielraum mit messbaren Erfolgszielen.“ - Für Typ W (wertrational):
Fokus auf Sinn, Verantwortung und Wirkung.
→ „Sie gestalten Projekte, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und nachhaltige Strukturen schaffen.“ - Für Typ A (affektuell):
Betonung von Dynamik, Kreativität, Teamenergie.
→ „Sie sind Teil eines inspirierenden Teams, das Neues ausprobiert und Ideen sofort in Bewegung bringt.“ - Für Typ T (traditional):
Betonung von Stabilität, Zugehörigkeit, Beständigkeit.
→ „Sie arbeiten in einem Unternehmen, das Verlässlichkeit und Zusammenhalt großschreibt.“
So entsteht ein motivtypischer Resonanzraum, in dem sich Menschen wiederfinden – nicht, weil sie eine Checkliste erfüllen, sondern weil sie sich verstanden fühlen.
Karrierewebseiten und Social Media motivtypisch
Karrierewebseiten und Social-Media-Kanäle sind die Bühne der Arbeitgebermarke. Doch sie sind oft generisch – alle „bieten Perspektiven“, „leben Werte“ und „suchen Talente“.
Motivtypische Kommunikation kann hier die entscheidende Differenz schaffen.
Sprache
- Z: konkret, strukturiert, zielgerichtet → „Unsere Führungskräfte arbeiten datenbasiert und messbar.“
- W: werteorientiert, reflektiert → „Wir übernehmen Verantwortung – für Menschen, Umwelt und Zukunft.“
- A: lebendig, emotional → „Hier sprühen Ideen – und gute Energie steckt an.“
- T: verbindlich, vertraut → „Wir sind ein Team, das zusammenhält.“
Bilder
- Z: klare Linien, moderne Arbeitsumgebungen, Technologie.
- W: Menschen in Kooperation, Nachhaltigkeit, soziale Wirkung.
- A: Bewegung, Emotion, Gesichter in Aktion.
- T: Gemeinschaft, Nähe, Alltagssituationen.
Formate
- Z: Karrierepfade, Erfolgsgeschichten, Prozessgrafiken.
- W: Reportagen, Interviews über Sinn und Haltung.
- A: Video-Stories, Behind-the-Scenes, Instagram-Reels.
- T: Langformate, Testimonials, Familiengeschichten.
So wird Employer Branding nicht nur einheitlich, sondern empathisch differenziert. Jede Botschaft spiegelt die Motivlage der Zielgruppe wider.
Interviewprozesse und Matching neu denken
Motivationsorientiertes Employer Branding hört nicht beim Recruiting auf – es setzt sich im Interview und Onboarding fort.
a) Interviewführung
Traditionell prüfen Interviews Kompetenzen, Erfahrungen und Persönlichkeit. Doch die entscheidende Frage lautet: Warum handelt diese Person so, wie sie handelt?
Ein motivationssensibles Gespräch fragt anders:
- „Was motiviert Sie, Verantwortung zu übernehmen?“
- „Was gibt Ihnen Energie, wenn Projekte schwierig werden?“
- „Was bedeutet für Sie beruflicher Erfolg?“
Diese Fragen öffnen Einblicke in Motivlagen und helfen, Passung wirklich zu verstehen.
b) Matching
Nicht jede talentierte Person passt zu jeder Organisation – und das ist gut so.
Ein Start-up mit A/Z-Kultur (dynamisch, leistungsorientiert) wird eine T/W-Persönlichkeit (sicherheits- und werteorientiert) schnell überfordern.
Umgekehrt fühlt sich ein A-Mensch in einem stark prozessorientierten Z-Umfeld eingeengt.
Motivbasiertes Matching bedeutet:
- kulturelle Resonanz statt oberflächlicher Eignung,
- langfristige Bindung statt schneller Einstellung,
- weniger Fluktuation durch mehr innere Passung.
c) Onboarding
Auch hier spielt Motivation eine zentrale Rolle:
- Z-Typen brauchen klare Ziele und Strukturen.
- W-Typen suchen Sinn und Identifikation.
- A-Typen wünschen Energie und Ausdrucksmöglichkeiten.
- T-Typen benötigen Sicherheit und soziale Integration.
Ein Onboarding, das diese Unterschiede kennt, fördert Bindung von Anfang an.
Mehr Wirkung, weniger Streuverlust
Employer Branding mit Motivation bedeutet, Menschen nicht über Benefits zu gewinnen, sondern über Bedeutung.
Es verbindet Psychologie und Strategie – und schafft Passung dort, wo früher Zufall herrschte.
In Zeiten von Fachkräftemangel und Wertewandel reicht es nicht, laut zu rufen: „Wir suchen Talente.“
Erfolgreiche Arbeitgeber verstehen, was Menschen innerlich antreibt – und sprechen genau diese Motivation an.
Motivationsorientiertes Employer Branding ist kein Trend, sondern die Zukunft nachhaltiger Personalstrategien.
Denn wer Motivation versteht, findet nicht nur Mitarbeitende – sondern Mitgestaltende.

